Alexander Rüstow
Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus
Frank P. Maier-Rigaud/Gerhard Maier-Rigaud
Das neoliberale Projekt
3. überarbeitete Auflage mit Übersetzungen herausgegeben
von Frank P. Maier-Rigaud und Gerhard Maier-Rigaud
Metropolis-Verlag, Marburg 2001
354 Seiten, 29,80 €/52,50 SFr
ISBN 3-89518-349-0
Hardcover, Fadenheftung, Register, Schriftenverzeichnis
Die neoliberale Wirtschaftspolitik versagt seit einem Vierteljahrhundert
bei ihrer wichtigsten Aufgabe, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Trotzdem gilt der Neoliberalismus nach wie vor als die allein
erfolgversprechende Orientierung der Wirtschaftspolitik. Diese
erstaunliche Resistenz gegenüber wirtschaftlichen Fakten
ist nur zu erklären mit einem festgefügten Vorverständnis,
dessen Wurzeln jenseits wissenschaftlicher Ratio liegen.
Alexander Rüstow dringt in einer tiefgreifenden geistesgeschichtlichen
Analyse zum Ursprung wirtschaftsliberaler Heilsgewissheit vor.
Die vor allem durch stoische Einflüsse auf die christliche
Theologie und die neue Wissenschaft von der Ökonomie überlieferte
Vorstellung einer vorgegebenen natürlichen Ordnung führte
dazu, deren Ergebnisse für sakrosankt zu halten und zu glauben,
Eingriffe in diese Ordnung könnten nur negative Folgen zeitigen.
Laisser-Faire gilt deshalb als die alleinige politische Option.
Entsprechend sind wirtschaftliche Krisen und soziales Elend als
der »göttlichen Planwirtschaft« inhärent hinzunehmen.
Auch die Aufklärung hat es nicht vermocht, den Glauben an
die Existenz einer gottgewollten Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft
zu überwinden. Alle großen Ökonomen des 18. und
19. Jahrhunderts blieben dieser Vorstellung verhaftet. Ihr Interesse
war darauf gerichtet, die in dieser Ordnung geltenden Funktionszusammenhänge
zu ergründen. Deshalb stellen sie das Gleichgewicht in den
Mittelpunkt aller ihrer Überlegungen. Und deshalb interpretieren
und rechtfertigen sie auch alle auftretenden Probleme als notwendige
Durchgangsstadien des Weges zum Gleichgewicht. Wenn Max Weber
den »Geist des Kapitalismus« als säkularisierte
protestantische Ethik entdeckte, so hat Rüstow den »Geist
des Liberalismus« als Säkularisierung eines deistisch-stoischen
Harmonieglaubens nachgewiesen.
Die Herausgeber zeigen in ihrem eigenen Beitrag, dass auch der
moderne Neoliberalismus dieser Harmonievorstellung verhaftet ist.
Der dogmatische Glaube an den neoklassischen Gleichgewichtsautomatismus
beherrscht die Problemwahrnehmung, die Analysen und die wirtschaftspolitischen
Empfehlungen. Er liefert vermeintlich auch die Rechtfertigung
für die liberalistische Aversion gegenüber dem Staat.
An Hand verschiedener Politikfelder wird demonstriert, wie Gleichgewichtsverheißung
und Laisser-Faire-Dogmatismus wirtschaftspolitische Entscheidungen
prägen. Dem neoklassischen Liberalismus ist es nicht gelungen,
seine subtheologische Prämisse, die Existenz einer vorgegebenen
harmonischen Ordnung, auf die das System Wirtschaft selbsttätig
zutreibt, nachzuweisen. Zu bieten hat er nur Verifizierungen durch
Theoriestücke und Modelle, in denen mögliche Quellen
für Instabilitäten von vornherein wegdefiniert sind.
Und an erkenntnislogisch unabdingbaren Falsifizierungsversuchen
hat die Gleichgewichtsökonomie ohnehin nie Interesse gezeigt.
So blockiert der neoklassische Liberalismus den Zugang zu einer
problemadäquaten Wirtschaftstheorie und einer wirksamen Wirtschaftspolitik.
Deshalb kann er die Risiken dynamischer Entwicklungsprozesse in
komplexen arbeitsteiligen Geldwirtschaften weder erfassen noch
vermeiden. Und deshalb kann er auch die im offenen System Wirtschaft
liegenden Chancen, die von Liberalen so sehr beschworen werden,
nicht ausschöpfen.
Kommentare
Ein wichtiges Buch, weil es erklärt, warum die Ökonomie
in den letzten Jahrzehnten die inhärente Instabilität
des Wirtschaftsprozesses aus ihrem Gesichtskreis verbannt hat.
Die keynesianische Fragestellung wurde durch den Glauben an
die Selbstheilungskräfte verdrängt. Die Analyse des
Liberalen Rüstow aus den 40er Jahren liefert das geistesgeschichtliche
Fundament für die Kritik am Neoliberalismus.
Professor Jürgen Kromphardt
Technische Universität Berlin,
Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen
Entwicklung
Seit zwei Jahrzehnten gibt es in Politik und Wirtschaftswissenschaften
einen Mainstream, der Deregulierung und Flexibilisierung als
aktive Wirtschaftspolitik und »niedrige Staats- und Sozialleistungsquoten
als Benchmark für ökonomische Leistungsfähigkeit«
erklärt, um gleichzeitig den Ordnungsfaktor Staat zum Störfaktor
umzudeklarieren. Hier nachdrücklich darauf hinzuweisen,
dass Alexander Rüstow, einer der Väter der sozialen
Marktwirtschaft, schon 1932 mit einem Vortrag »Freie Wirtschaft
– starker Staat« Aufsehen erregte, kann vielleicht das
neoliberale Dogma wenigstens ankratzen. Vor allem »Modernisierern«
und »Verschlankungsstrategen« sei dieses Buch empfohlen.
Dr. Herbert Ehrenberg
Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung von 1976-1982
Die Kritik Rüstows wird von den Herausgebern folgerichtig
auf den »neuen« Neoliberalismus übertragen. Die
vermeintlichen ökonomischen Sachzwänge erweisen sich
als ideologisch. Ihre wirtschaftspolitische Umsetzung behindert
den evolutiven Korridor in die transindustrielle Gesellschaft.
Gezeigt wird, dass auch die »Dritten Wege« längst
von neoliberalen Denkmustern geprägt sind. Erst die Abkehr
vom Axiom einer vorgegebenen harmonischen Ordnung kann wieder
Raum schaffen für den Primat der Politik, die sich allerdings
innovativen und zeitbewussten Strategien öffnen muss.
Professor Carl Böhret
Lehrstuhl für Politische Wissenschaft,
Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer
Gerade jener, dem es um die Liberalität zu tun ist, wird
mit Gewinn das dogmenhistorisch fundierte und geradezu enragiert
liberale Plädoyer, das Rüstow vor nunmehr rund einem halben
Jahrhundert gegen die ökonomistische Verkürzung des Liberalismus
geschrieben hat, zur Kenntnis nehmen. Er wird nicht mit allem,
was Rüstow zur Diskussion stellt, einverstanden sein; doch wird
er, weil das Buch auch heute noch zu provozieren vermag, weniger
gedankenlos ein Liberaler sein.
Professor Guy Kirsch
Universität Fribourg, Schweiz
Rezensionen
Guy Kirsch, Universität Fribourg (Schweiz), in:
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.10.2001
Herbert Ehrenberg, Bundesminister a.D., Klassiker
der sozialen Marktwirtschaft, in: Mitbestimmung, 2002, Vol.
1+2, S. 78
Ulrich Busch, Das Versagen
des Wirtschaftsliberalismus, in: UTOPIEkreativ, 2002, Vol.
140, S. 565-566
Peter Molt, Wissenschaftsgeschichte,
Methodologie und Wissenschaftstheorie, in: Politische Vierteljahresschrift,
2002, Vol. 43 (2), S. 351-368
Hendrik Hansen, Universität Passau, Rezension
von "Das Versagen des Wirtschaftsliberalsimus" und "Das neoliberale
Projekt", in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2002,
Vol. 3, S. 1195-1196
Heiner Flassbeck, Senior Economist, UNCTAD, Das
neoliberale Glaubensbekenntnis, in: Süddeutsche Zeitung,
2002, Vol. 230 (Sa/So, 5./6. Oktober), S. 26
Norbert Reuter, RWTH Aachen, Neoliberalismus
oder 'Vulgärökonomie des Augenscheins', in: Wirtschaft und
Gesellschaft, 2002, Vol. 28 (3), S. 447-449
Bernhard Walpen, Romero Institute, Rezension,
in: Das Argument - Zeitschrift für Philosophie & Sozialwissenschaften
2002, Jahrgang 44(5), Nr. 248, S. 883-885
Fritz Söllner, Technische Universität Ilmenau ,
Ökonomie und Theologie - Bemerkungen
zur Neuauflage eines Ordoliberalen Klassikers, in: ORDO
Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 2002,
Vol. 53, S. 343-347.
Peter Bendixen, Rudolf-Arnheim-Institut, Hamburg, Rezension
Stephan Märkt, Universität Erfurt,
Rezension, in: Aussenwirtschaft - Swiss Review of International
Economic Relations, 2003, Vol. 58 (2), S. 313-314.
Hans G. Nutzinger, Universität Kassel, Rezension,
in: LIST FORUM für Wirtschafts- und Finanzpolitik (forthcoming).
Richard Werner, Sophia Universität Tokio, Rezension,
(forthcoming).
Aus dem Inhalt
Das Versagen des Wirtschaftsliberalismus
Alexander Rüstow
- Liberalismus und Wirtschaft
- Wirtschaftstheologie
- Pythagoras, Heraklit, Stoa
- Wirtschaftstheologie bei den Physiokraten
- Wirtschaftstheologie bei Adam Smith
- Wirtschaftstheologie bei den Nachfolgern
- Zusammenfassung
- Fehler
- Passivismus
- Glückseligkeitsdusel
- Unbedingtheitsaberglaube
- Soziologieblindheit
- Übersehene institutionelle Randbedingungen
- Folgen
- Behinderungskonkurrenz statt Leistungskonkurrenz
- Megalomanie und Elephantiasis der Wirtschaft
- Vermassung der Gesellschaft
- Kollektivismus
- Pluralistische Entartung des Staates
- Fazit
- Folgerung: Erneuerung des Liberalismus
Anhänge:
- Religiös begründetes Laisser-faire im Islam
- Stoizismus und Epikureismus bei Adam Smith
- Laissez faire! Laissez passer!
- Außenhandel gottgewollt
- Adam Smith gegen die Subventionsgier der Unternehmer
- Zur Geschichte der Begriffspopularität zwischen Leistungskonkurrenz
und Behinderungskonkurrenz
Das neoliberale Projekt
von Frank P. Maier-Rigaud und Gerhard Maier-Rigaud
Vorbemerkung: Erwartungen und Zweifel
- Ökonomisierung der Gesellschaft
- Orientierungen der Wirtschaftspolitik.
- Wettbewerb der Nationen?
- Sozialkosten des Marktdogmas
- Geistesgeschichtliche Quellen
- Philosophie und Religion
- Säkularisierung des Harmonieglaubens
- Liberale Rechtfertigungslehre
- Erkenntnisinteresse und Komplexitätsreduktion
- Endzeitökonomie
- Verifikation
- Abstraktionen
- Theoriemuster und Politikfolgen
- Rollenverteilung
- Aktionismus
- Diskriminierung
- Akteure im neoklassisch-liberalen Modell
- Wirte statt Unternehmer
- Konsumentensouveränität und Präferenzenbildung
- Staat als Mitspieler
- Grenzen struktureller Selbststeuerung
- Der Freiburger Imperativ
- Spielregeln für den Leistungswettbewerb
- Externalitäten
- Notwendigkeit der Niveausteuerung
- Exogene Geldversorgung
- Wechselbäder durch Wechselkurse
- Makroökonomische Instabilität
- Gesellschaftspolitische Rezeptionen
- Libertarians
- Kommunitaristen
- Neoliberalismus von links
- Politische Ökonomie der dritten Wege
- Ökonomie und Ideologie
- Theorie des dritten Weges?
- Primat der Politik
Schlussbemerkung: Das Versagen des neoklassischen Liberalismus
Alexander Rüstow: Leben und Werk
Veröffentlichungen von Alexander Rüstow
Personenregister
Sachregister